Anstieg der Hitzetoten wird überwiegen
Die wachsende Zahl an Hitzetoten wegen des Klimawandels wird einer Studie zufolge in Europa den Rückgang der Anzahl Kältetoter deutlich übersteigen. Auch für die Schweiz hat der Klimawandel negative Auswirkungen auf die Gesamtzahl der temperaturbedingten Todesfälle.
Angesichts der steigenden Temperaturen in Europa sei es wichtig, das Verhältnis zwischen hitze- und kältebedingter Sterblichkeit zu verstehen, schrieb das internationale Forschungsteam mit Schweizer Beteiligung in der am Montag in der Fachzeitschrift "Nature Medicine" veröffentlichten Studie.
Früheren Studien zufolge stehen in Europa jedem Hitzetoten zehn Kältetote gegenüber. Die nun erscheinende Studie hat für 854 Städte in 30 europäischen Ländern, darunter auch 12 Städte in der Schweiz, untersucht, wie sich die Anzahl der kälte- und hitzebedingten vorzeitigen Todesfälle bei fortschreitendem Klimawandel entwickeln wird und inwiefern dies die Gesamtbilanzen verändert.
2,3 Millionen temperaturbedingte Tote mehr
Der Schätzung der Forschenden zufolge könnte die Klimaerwärmung in den untersuchten Städten bis zum Jahr 2099 insgesamt zu über 2,3 Millionen zusätzlichen temperaturbedingten Todesfällen führen. Mit Klimaschutz- und Klimaanpassungsmassnahmen könnten aber bis zu 70 Prozent dieser zusätzlichen Todesfälle verhindert werden.
Die Schätzung wurde unter Berücksichtigung der zu erwartenden Altersstruktur der Bevölkerung vor Ort vorgenommen. Trifft in einem Gebiet etwa ein starker mittlerer Temperaturanstieg auf eine im Durchschnitt relativ alte Bevölkerung, steigt die durch Hitze und ihre Auswirkungen etwa auf den Kreislauf bedingte Sterblichkeit (Mortalität). Gleichzeitig gehen durch die tendenziell milderen Winter die kältebedingten Sterbefälle zurück.
Zur Einordnung: Unter Übersterblichkeit im Zusammenhang mit Kälte werden keineswegs nur Fälle verstanden, in denen Menschen erfrieren. Vielmehr geht es hier um den Zuwachs an Todesfällen, wenn Temperaturen auch nur etwas niedriger als im Idealbereich mit minimaler Sterblichkeit von um die 20 Grad Celsius liegen.
Gewinner und Verlierer
Die Studie prognostiziert insbesondere für Städte im Süden Europas einen starken Anstieg an temperaturbedingten Todesfällen. In Barcelona (Spanien) könnte der Klimawandel bis zum Jahr 2099 zu über 246'000 zusätzlichen temperaturbedingten Todesfällen führen.
Aber auch in den untersuchten Schweizer Städten dürften den Zahlen zufolge wegen des Klimawandels mehr Menschen wegen der Temperatur sterben. Für Zürich prognostizieren die Forscher ohne wirksame Klimaschutzmassnahmen bis zum Ende des Jahrhunderts über 9000 zusätzliche Todesfälle, in Genf über 6000. Selbst mit strikten Klimaschutzmassnahmen steigt der Studie zufolge in allen untersuchten Schweizer Städten die Zahl der temperaturbedingten Todesfälle.
Im Norden Europas könnte der Studie zufolge die Anzahl temperaturbedingter Todesfälle durch den Klimawandel aber auch sinken. Für London berechneten die Forschenden etwa einen Netto-Rückgang der Todesfälle um rund 27'500 bis zum Ende des Jahrhunderts.
Grosse Unsicherheiten
Insgesamt seien die Berechnungen des Teams um Pierre Masselot von der London School of Hygiene & Tropical Medicine mit vielen Unsicherheiten behaftet, wie mehrere Experten dem deutschen Science Media Center (SMC) erklärten. Man sehe das auch an den durchwegs sehr grossen Schwankungsbreiten in den Angaben, die bei moderateren Klimaannahmen oft auch Netto-Effekte in die jeweils andere Richtung zulassen.
Kritisiert wird ausserdem, dass in der Studie nicht beachtet wird, dass sich Menschen an höhere Temperaturen gewöhnen. Verschiedene Studien, auch aus der Schweiz, haben gezeigt, dass die Sterblichkeit bei heissem Wetter über die Zeit tendenziell abnimmt. Das liegt an Verhaltens- und Infrastrukturanpassungen - zum Beispiel Klimaanlagen - sowie eventuell auch an physiologischen Anpassungen.
Trotz diesen Einschränkungen zeigt die Studie laut den Experten aber, dass Vorkehrungen gegen Hitze getroffen werden müssen.