Forschungen am Cern könnten sich verzögern
Ende November endet die Zusammenarbeit mit russischen Forschungsinstituten bei der Europäischen Organisation für Kernforschung (Cern) mit Sitz in Genf. Das könnte Folgen für die Wissenschaft haben, warnt eine deutsche Wissenschaftlerin.
"Russland hat starke Expertise im Ingenieurswesen", sagte Beate Heinemann vom Deutschen Elektronen-Synchrotron (Desy) in Hamburg der Deutschen Presse-Agentur (dpa). "Es ist nicht so, dass bestimmte Forschung durch das Ende der Zusammenarbeit nun unmöglich wird, aber es macht die Sache schwieriger und es könnte zu Verzögerungen kommen." Heinemann ist Direktorin für den Desy-Bereich Teilchenphysik.
"Wir hoffen, dass es keinen grösseren Verlust in der Wissenschaftsausbeute geben wird", sagte der deutsche Cern-Forschungsdirektor Joachim Mnich der dpa. Russische Wissenschaftler hätten ihre Expertise so weit wie möglich auf Kolleginnen und Kollegen übertragen. "Eine Detektor-Komponente können wir nicht weiterbetreiben, aber das ist keine grosse Lücke", sagte Mnich.
Als Reaktion auf den russischen Überfall auf die Ukraine hatten die Cern-Mitgliedsländer im vergangenen Jahr beschlossen, die Zusammenarbeit mit russischen Forschungsinstituten zu beenden. Das Desy, ein Zentrum zur Erforschung von Materie, hatte bereits 2022 so entschieden. "Dies unter anderem, weil wir besorgt waren, dass die russischen Forschungsinstitute plötzlich anders als früher politisch instrumentalisiert werden", erklärte Heinemann.
Das Cern mit 24 Mitgliedsländern betreibt die mit 27 Kilometern Länge grösste Forschungsmaschine der Welt, den ringförmigen Teilchenbeschleuniger LHC 100 Meter unter der Erde bei Genf. Darin werden Kollisionen von Protonen mit beinahe Lichtgeschwindigkeit erzeugt, um den Ursprung des Universums zu erforschen.
Aus Russland waren etwa tausend Wissenschaftler beteiligt, wie der Cern-Forschungsdirektor Joachim Mnich der dpa sagte.
Kalter Krieg stoppte Kooperation nicht
"Wir haben am Cern mit Russland auch im Kalten Krieg zusammengearbeitet, getrieben von wissenschaftlicher Neugier, in friedlichem Umfeld. Das scheint nicht mehr möglich zu sein, und das ist extrem schade", sagte Markus Klute, Leiter des Instituts für experimentelle Teilchenphysik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der dpa. Das KIT arbeitet wie das Desy, ein Zentrum zur Erforschung von Materie, eng mit dem Cern zusammen.
Auch das KIT hat die Zusammenarbeit mit russischen Instituten ebenfalls auf Eis gelegt. Die meisten Kollegen aus Russland seien fantastisch, problematisch sei die Leitung ihrer Institute, die oft nicht in wissenschaftlichen Händen liege, sagte Klute.
Für einige Dutzend russische Kollegen am Cern, die nicht nach Russland zurückkehren können oder wollen, seien Lösungen gefunden worden, sagte Mnich. Sie kamen in anderen Ländern unter. Klute bezeichnete es als Glück, dass drei russische Doktoranden, die am Cern waren, nun am KIT promovieren. Für andere Kolleginnen und Kollegen werde weiter an Lösungen gearbeitet. Auch das Desy hat einen russischen Kollegen vom Cern übernommen.
Andere Geldgeber müssen einspringen
Probleme gab es beim Cern auch wegen russischer Komponenten für den Beschleuniger und die Experimente. Einige Teile konnten wegen der europäischen Sanktionen gegen Russland nicht mehr geliefert werden. Insgesamt habe das einen Umfang von umgerechnet gut 50 Millionen Euro, rund drei Prozent der Gesamtkosten, sagte Mnich. Dadurch müssten nun andere Geldgeber tiefer in die Tasche greifen, darunter das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Berlin.
Die Zusammenarbeit mit dem in Russland sitzenden Joint Institute for Nuclear Research geht am Cern unterdessen weiter. Dabei handele es sich um eine internationale Organisation, erklärte Mnich.