Fünf Prozent tiergetesteter Therapien erreichen Menschen, © Depositfotos / Symbolbild / Vkovalcik
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Fünf Prozent tiergetesteter Therapien erreichen Menschen

Nur eine von 20 an Tieren getesteten Therapien wird schlussendlich für Menschen zugelassen.

13.06.2024

Das zeigten Forschende der Universität Zürich erstmals in einer systematischen Übersichtsstudie.

"Das klingt zwar nach sehr wenig, darunter könnten aber Therapien sein, die für gewisse Personen lebensnotwendig sind", sagte Studienleiter Benjamin Ineichen von der Universität Zürich (UZH) zur Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Dass nur wenige Medikamente, die an Tieren getestet werden, auch tatsächlich den Sprung zum Menschen schaffen, sei schon lange bekannt. Verlässliche Zahlen dazu habe es aber bisher kaum gegeben, so Ineichen.

Für die Studie, die in der Fachzeitschrift "PLOS Biology" veröffentlicht wurde, untersuchte er zusammen mit seiner Forschungsgruppe 122 bestehende Studien zu 367 verschiedenen Therapien für 54 menschliche Krankheiten.

Zehn Jahre bis zur Genehmigung

50 Prozent dieser 367 an Versuchstieren geprüften Therapien führten demnach zu klinischen Forschungsarbeiten am Menschen. 40 Prozent zu sogenannten randomisierten kontrollierten Studien. Solche Studien gelten als Goldstandard für die klinischen Forschung. Sie werden mit Placebo-Therapien und doppelter Verblindung durchgeführt, bei der weder die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, noch die Forscherinnen und Forscher wissen, ob ein Studienteilnehmender ein Placebo oder eine echte Therapie erhalten hat.

Bis zu einer ersten Humanstudie dauerte es durchschnittlich fünf Jahre, sieben Jahre bis zu randomisierten kontrollierten Studien und zehn Jahre bis zu einer behördlichen Genehmigung. In einzelnen Fällen kann es gar mehrere Dekaden dauern, bis eine Therapie am Menschen getestet wird.

Gründe für die tiefen Raten

Zudem zeigten die Forschenden, dass es eine grosse Übereinstimmung zwischen Tier- und Humanstudien gab: 86 Prozent der Therapien, die erfolgreich an Tieren getestet wurden, waren auch bei Menschen wirksam. Allerdings basiert diese Zahl lediglich auf der Einschätzung, die in den verschiedenen Studien, die die Forschenden zusammenfassten, gemacht wurden.

Trotzdem wurden nach zehn Jahren 95 Prozent der an Tieren getesteten Therapien nie für Menschen zugelassen. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass eine mangelnde Qualität gewisser Tierstudien zu falsch positiven Resultaten führte, dass die Daten also einen Therapie-Effekt suggerieren obwohl in Wirklichkeit kein solcher vorliegt", sagte Ineichen. "Das führt dazu, dass diese Medikamente später in der sehr rigorosen Testung am Menschen herausfallen."

Erfolge und Misserfolge

Beispiele gibt es sowohl für Therapien, die dank Tierversuchen zustande kamen, als auch für Therapien, die nach Tierversuchen grosse Hoffnung erweckten, die dann aber schlussendlich beim Menschen nicht die gewünschte Wirkung erzielten.

So wurden für Multiple Sklerose (MS) mehrere Medikamente zugelassen, die laut Ineichen sicher teilweise Tierversuchen zu verdanken sind. Dazu gehört etwa Fingolimod. "Ein relativ neues und hoch-effizientes Medikament für MS", so Ineichen.

Im Entwicklungsprozess herausgefallen ist hingegen die Substanz NXY-059. Basierend auf Tierversuchen hatte man gehofft, dass diese Substanz Schlaganfallpatienten helfen könnte. Dies hat sich allerdings nicht bestätigt im Menschen.

Zum Sinn von Tierversuchen

Sind also Tierversuche unnötig? Diese Frage kann laut Ineichen keine Studie wirklich beantworten. "Schlussendlich ist eine immer eine Abwägung verschiedener Interessen", sagte der Forscher. Wie diese Güter gewichtet werden, müsse die Gesellschaft diskutieren. Er appellierte aber für eine evidenzbasierte Debatte über Tierversuche in der Gesellschaft.

Die Studie liefert ausserdem auch keinen Vergleich mit der Erfolgsquote von tierversuchsfreien Therapie-Entwicklungen. Laut dem Forscher könnte es aber möglich sein, die Quote an Therapien, die den Sprung zum Menschen schaffen, zu erhöhen. Dafür seien einerseits rigorosere Standards für Tierversuche notwendig. Zudem müsste man laut Ineichen in die Ausbildung von jungen Forschenden investieren und mehr Ärztinnen und Ärzte in die Tierversuchs-Forschung involvieren.

Die Suche nach Faktoren

Der Forscher plädierte für den sogenannten 3R-Ansatz: Die 3R-Prinzipien (replace, reduce, refine) fordern die Schaffung von Alternativmethoden zu Tierversuchen, die Reduktion der Tierversuche auf das absolute Minimum und die Verbesserung von Tierversuchen, damit die Tiere so wenig wie möglich belastet werden.

In einem nächsten Schritt versuchen die Forschenden um Ineichen zudem, Faktoren zu finden, die für den Erfolg eines Tierversuchs entscheidend sind. "Wir müssen besser verstehen, was dazu führt, dass eine Therapie den Sprung vom Tier auf den Menschen schafft", sagte Ineichen. Also etwa, ob gewisse Tierspezies besser dafür geeignet sind als andere. Für diese Fragestellung werden sie die Translation von Zehntausenden von Therapien analysieren.