Messmethoden können Tsunamis hervorsagen
Moderne Messmethoden helfen Forschenden, Naturgefahren wie Tsunamis vorherzusagen. Sie geben auch Einblicke in die Entstehung einer mysteriösen, zehn kilometerlangen Unterwasser-Kette von 170 Steinhügeln aus der Jungsteinzeit im Bodensee.
Über dessen Kartierung, eines "Hotspots der Interaktion zwischen Mensch, Umwelt und Klima", sprach der Schweizer Geologe Flavio Anselmetti in Wien.
Er hielt gestern Abend bei einem Vortrag an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). "Die Geschichte des heutigen Bodensees beginnt, als sich der grosse Rheingletscher vor rund 19'000 Jahren zurückzieht", sagte Anselmetti, Professor am Institut für Geologie der Universität Bern
Unter anderem um die geologische Geschichte des trinationalen Sees besser zu verstehen, haben die Forschenden mit einem sogenannten Fächerecholot den Seegrund vermessen. Bei dieser Methode wird nicht wie bei der einzelnen Echolot-Messung eine Schallwelle ausgesendet und die Zeit gemessen, bis sie vom Boden reflektiert wieder zurückkommt, sondern ein nach unten hin breiter werdender Fächer an Signalen ausgesendet, der schnell sehr viele Messpunkte generieren kann, hiess es.
Das Problem beim Fächerecholot: Im Flachwasser des Sees kann nicht so effizient gemessen werden, da der Fächer vom Schiff aus keinen Platz hat, nach unten hin grösser zu werden. Zusammen mit einer Innsbrucker Firma wurden deswegen Lasermessungen aus dem Flugzeug vorgenommen.
Bevor die Karte öffentlich zur Verfügung gestellt wurde, mussten noch die grossen Datensätze der zwei Messmethoden kombiniert sowie Trinkwasserfassungen wegen der Gefahr von Giftanschlägen und archäologisch wertvolle Schiffswracks kaschiert werden. "Nun kann man aber den See zum ersten Mal so sehen, als gäbe es kein Wasser", erklärte der Geologe.
Naturgefahren vorhersehen
Der praktische Nutzen der Vermessung liege jetzt etwa darin, durch die exakte Darstellung des Seegrundes und anhand weiterer Analysen potenzielle Naturgefahren besser vorhersehen zu können. "Zum Beispiel könnten sich bei einem Erdbeben oder im Bereich des Rheindeltas im Falle eines Hochwassers spontan die Sedimentmassen an den Hängen bewegen", sagte Anselmetti. Dies habe das Potenzial, einen Tsunami auszulösen. "Wir modellieren diese Tsunamis und wollen uns die Gefahr ganz nüchtern ansehen."
Am Südufer des Bodensees wurde ausserdem bei der Kartierung 170 "mysteriöse Hügel" in drei bis fünf Metern Tiefe entdeckt, erzählte der Forscher. Wie an einer Perlenschnur aufgereiht hat die Kette eine Länge von rund zehn Kilometern. "Das hat bei der Pressekonferenz damals einen regelrechten Hügeli-Hype ausgelöst - wir wussten dazu noch recht wenig, weswegen in vielen Medien wilde Spekulationen kursierten", so der Geologe.
Zweck der Hügel unklar
Viele Fragen sind seit der Entdeckung im Jahr 2015 geklärt: Die Hügel mit Durchmessern von 15 bis 30 Metern sind sehr wahrscheinlich menschengemacht, da sie sich unter anderem deutlich von der Struktur des darunterliegenden Schlammes unterscheiden. Mithilfe von Proben konnte die Erbauung auf einen Zeitraum vor rund 5500 Jahren, also in der Jungsteinzeit, datiert werden. "Das ist ungefähr zeitgleich mit Ötzi, der da über die Alpen gegangen ist", erklärte Anselmetti. Sie wären damit das grösste bekannte neolithische Bauwerk.
Etliche Unklarheiten bleiben aber bis heute, allen voran der Zweck der Hügel. Bei der Untersuchung von "Hügeli 5", des bis jetzt einzigen mühsam unter Wasser schrittweise aufgebaggerten Hügel seien zumindest keine Siedlungsreste gefunden worden, sondern nur Steine und einzelne Holzstücke.
Darüber hinaus liegen beispielsweise ein möglicher Nutzen für den Fischfang, als Begräbnisplattformen oder Kalenderanlagen bis hin zum Uferschutz als Wellenbrecher oder Lesesteinhaufen für den Ackerbau im Rahmen der Möglichkeiten. "Aber wir wissen es schlicht nicht. Spekulieren ist also erlaubt", sagte Anselmetti.